Sonntag, Februar 08, 2009

Dreihundert Jahre Ludwigsburg

3oo Jahre Ludwigsburg


Rainer Obrowski


Stadtgedanken


O Ludwigsburg, du edle Stadt

Wo es so viel Soldaten hat,

Artillerie, Infanterie

Und zweierlei Cavallerie,

Wie mehrt sich deine Gloria

Zumal durch die Cichoria!

Juche!


T. H. Vischer


Etliche Namen schreibt man mir zu, belegt und umschmeichelt mich damit, was meiner Substanz allerdings keinen Abbruch tut. Man bricht mir damit keinen noch so kleinen Zacken aus meiner barocken Krone! Natürlich bin ich dennoch eitel, narzisstisch und manchmal selbstverliebt, was bei einem viviparen Wesen wohl auch nicht erstaunt. Ich stehe felsenfest auf der von den mir gewogenen zeitlosen Göttern Kronos und Kairos bewachten dornenlosen Windrose; sie dient mir auch als Bett.


Mit der Zeit habe ich heftig zugenommen, bin breiter geworden rundum, ohne jedoch meine Leichtigkeit zu verlieren. Über mein hohes Alter muss ich ja nicht unbedingt sprechen, zumal ich mich im Vergleich mit vielen anderen meinesgleichen wie ein pubertierender Teenager fühle. Im Übrigen altere ich nicht, sondern verjünge mich zunehmend am Tropf der durch die Zeitläufte mäandernden Modernität, der ich allerdings Positives nur schwerlich abringen kann, wenn ich auch nicht von, sondern mit meiner Vergangenheit zu existieren versuche.


Als mein launischer kauziger Namenspatron, ein passionierter Reiter, Waidmann und Bellizist, achtundzwanzig Jahre alt war, musste es ein Jagd- und Lustdomizil sein, das er von unterdrückten geknechteten Frönern, welche auf diese Weise wenigstens dem verhassten Soldatspielen oder dem entwürdigenden Verkauf an fremde Kriegsfürsten entgingen, in absolutistischer Manier hatte mauern und zimmern lassen. Da hatte ich aber noch fünf Jahre geduldig auf meine eigentliche Geburt zu warten und anschließend noch einmal neun Lenze, bis der hohe Herr mir die Ehre seiner dauerhaften physischen Zuneigung erwies und das nicht zuletzt wohl wegen seiner Geliebten, einer gewissen Christiane Wilhelmine von G., die zu der zeitlosen Zunft derer gehörte, die damals Maitressen genannt wurden, woran man unschwer erkennen kann, dass die Herrschenden sich schon seit jeher blindlings darauf verstanden haben, sich einer sogenannten politisch korrekten Rhetorik zu bedienen. Diese machtstiftende Korrektheit war schon immer ein probates Mittel, um das Wesentliche, was die untertänigen Bürger in ihrer ihnen ureigenen Sprache zu sagen in der Lage sind, einzuschränken, zu tabuisieren, zu zensieren und damit über kurz oder lang zu eliminieren. Und das gelingt nun immer besser, weil das Ikebana des nichts sagend vielsagenden euphemistischen Wortes die duftende strahlende Blüte des klaren entwaffnenden Wortes verwelken lässt, was den sogenannten globalen Eliten jetzt im einundzwanzigsten Jahrhundert in Perfektion gelingt. Aber das sei nur en passant erwähnt, weil ich eben unter anderem nur zu genau weiß, welche schändlichen Schimpfwörter, die ich hier mit dem hauchzarten Schleier der Höflichkeit bedecken möchte, das gemeine Volk für die sein mühselig erarbeitetes Geld fressenden fürstlichen Maitressen damals auf der Zunge hatte.


Viele weit bekannt gewordenen Menschen habe ich in meinem Schoße beherbergt. Manche kamen und gingen, kamen wieder, legten sich in mir zur Ruhe, setzten mir sprachliche, musikalische, in Stein gehauene und in Bronze oder Eisen gegossene Denkmäler, trugen zu meiner Ausbreitung bei, waren mir gewogen wie einer treu sorgenden Mutter. Manche von ihnen, vor allem jene, welche sich der Sprache und der Musik verschrieben hatten, habe ich für immer in mein steinernes Herz geschlossen.


Ich denke so oft und gerne an den hypochondrischen Romantiker mit dem blauen Frühlingsband, der bis zum Tode seines Vaters, einem Arzt, der 1817 strarb, in meiner Oberen Marktstraße Nummer Zwei wohnte und der auf meinen weitläufigen Latifundien, wie ich mich erinnere, eine glückliche unbeschwerte Kindheit verlebte. In einem Tagebuch steht zu lesen: „Mörike ist ein tiefes schönes Gemüth. Er ist ganz Natur. Er ist die Beute des Augenblicks.“ Ein gewisser Friedrich Nietzsche, welcher sich zu vielem und vielen ungefragt äußerte und sehr arrogant sein konnte, sagte über dessen Werke: „Vor allem fehlt es an Klarheit und Anschauung. Und was die Leute an ihm musikalisch nennen, ist auch nicht viel und zeigt, wie wenig die Leute von Musik wissen.“ Ein hier im Lande geschätzter Wortgewandter namens Hesse schrieb: „Er lebte in der manchmal bis zum Trostlosen gesteigerten Einsamkeit, die jeden wahren Schöpfer ungewollt umgibt, und das tiefe goldige Leuchten /.../ ist aus schwerem Leid und Kampf geboren.“ Aber da hatte ich den Mörike schon aus den Augen verloren. Er selbst erinnerte sich an seine Kindheit, indem er mir eine Eloge schenkte:


Mir ein liebes Schaugerichte

Sind die unschmackhaften Früchte,

Zeigen mir die Prachtgehänge

Heimatlicher Schattengänge

Da wir in den Knabenzeiten

Sie auf lange Schnüre reihten,

Um den ganzen Leib sie hingen

Und als wilde Menschen gingen,

Oder sie auch wohl im scharfen

Krieg uns an die Köpfe warfen.

Trüg' ich, ach, nur eine Weile

Noch am Schädel solche Beule,

Aber mit der ganzen Wonne

Jener Ludwigsburger Sonne!


Der kleine Fritz lebte von seinem siebten bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr in meiner Stuttgarter Straße Nummer Sechsundzwanzig, wo er – unter den Geldsorgen seiner Eltern leidend – den blendenden Glanz des herrschaftlichen Hofes vor Augen an der elitären Lateinschule geschlagen, geprügelt und wie ein Hund dressiert wurde und zuhause zudem unter den Züchtigungen seines aufbrausenden patriarchalischen Vaters litt. Manches Mal tat mir der aufgeweckte Junge wirklich leid und es tat mir in der Seele weh, wenn ich den Kleinen, in einer Ecke seiner kargen Kammer zusammengekauert, jammern und weinen hörte. Aber immerhin wurden ihm die über alles geliebten Theater- und Bibliotheksbesuche, bei denen seine großen Augen wie Diamenten glänzten und funkelten, nicht verwehrt. Der derbe Schubart fand sich dort auch des öfteren ein. In seinem erwachsenen Leben beehrte mich der nun schon bekränzte Friedrich Schiller noch einmal, als er 1793 unter meinen Fittichen den dreiundzwanzigjährigen Hölderlin traf. Leider war ich damals anderweitig so sehr beschäftigt, dass ich ihren ausgiebigen Gesprächen nicht lauschen konnte.


Als mich das Biedermeier beseelte, tollten Justinus Kerner, David Friedrich Stauß und Friedrich Theodor Vischer durch meine gepflasterten Gassen. Besonders mag ich Vischers Gedicht „In der Vaterstadt“, trotz dass mir 'Mutterstadt' besser gefallen hätte, das er über seine Kindheit verfasste, er, der ja eigentlich kein wahrer Dichter war. Diese Verse habe ich noch im Ohr:



In der Vaterstadt


Das sind die alten Wege,

Die schattigen Alleen,

Des Parkes alte Stege,

Felsburg und kleine Seen.


Das sind die alten Gassen,

Der Marktplatz leer und breit,

Vollauf ist Raum gelassen

Für Kinderlustbarkeit.


Das sind die Laubengänge,

Die uns so wohl behagt,

Durch deren luft'ge Länge

Wir jauchzend uns gejagt.


Und hier am Hallenbaue,

Hier steht das Vaterhaus.

Ehrwürdig Haupt, o schaue -

Ich harre – schau heraus!

O Mutterbild erscheine.

Geschwister kommt an's Licht!

Der teuren Seelen keine

darf fehlen. Säumet nicht!


Ist mancher so gegangen

Und hat zurückgedacht,

Wie er mit Kinderwangen

Hier einst gespielt, gelacht! -


Ach ja, fast hätte ich sie vergessen, die stolzen Soldaten und mächtigen Kasernen, die mir vor langen Jahren den martialischen Dienstgrad einer Garnisonsstadt eintrugen. Where have all the soldiers gone? Diese Frage höre ich oft in allen erdenklichen Sprachen, allein, ich weiß sie nicht zu beantworten. Nein, verwaist sind die Kasernen nicht.


Kunstschaffende jedweder Couleur bevölkern die ursprünglich säbelrasselnden Soldaten verbehaltenen Gebäude, die nund als Kunst- oder Film- und Medienzentrum firmieren, so dass sogar meine große Schwester Los Angeles vom Pazifik umspült erstaunt Notiz davon genommen hat. Nicht dass die große weite Welt dadurch unbedingt besser würde, aber die meinige ist bunter. Des bin ich froh!

Dienstag, Februar 06, 2007

akrosticha
lebendige mosaiksteine füllen den rahmen, den das leben schnitzt


das leichte lachen der schmetterlinge tanzt
auf den kalten strahlen der sonne. die
nebel in den tälern meiner seele verbrennen.
im unergründlichen braun deiner augen
ergehen sich nie geahnte gefühle in
lichtdurchfluteten gefilden des ephemeren glücks.
lodernde alamate erhellen die düstere takla makan.
einfühlsame worte sprengen die hinderlichen dämme

*******



beseelt vom flüsterhauch der meerschaumbekleideten musen
auf den klippen über den wellenumwogten gestrandeteten in
rosenüberwachsenen grotten; bewacht von der marmornen
barbusigen venus schweben verdichtete worte
an ihre weidenden ohren. - deine wachen augen be-
rücken den sich so verjüngenden phönix - die
asche verwandelst du in samtgrünes moos
*******
C hariten verfolgend mit wachen augen
H ochgelobt durch tiefgründige logik
A m abgrund der anarchie
R ochaden im banne hölzerner königinnen
L anden im elfenbeinturm.
E crasez l'infame ! und
S ingt das hohe lied der individualität.

R uminationen ohne wiederkäuende
O stensive platitüden bündeln sich bei
Y in und yang

*******


momentaunahmen spiegeln sich in
aufmerksamen wandernden augen -
redende pupillen reflektieren
crescendoartig innere instabilitäten
einer spürbaren mesmerisierenden aura -
leise untertöne überlagern deine
authentische zurückhaltende schönheit

*******

dawn creeps down the gloomy valley

am rande der klippen ranken hoch oben rote rosen

rays of the sun relentlessly burn the hovering mist

leiten dich sicheren fußes auf brüchigem fels -

islands emerge like giant bubbles from dire waters

nie mehr sollst du straucheln auf unwegsamen wegen.

generating mossy meadows to lie down on

der himmel strahlender azur - in seiner samtenen umarmung

and rest your sore heart - gathering stamina to

labst du deine zerschundene seele

endure the ungraspable world of sharks

*******


akinom

mit meilenstifeln verrannt und
ohne stolpersteine erreicht
natürlich verwoben – die
intensität erahnend im
kielwasser treibend
außerstande dagegenzusteuern

*******


am anfang war der blick
lodernder augen unter schweren lidern –
erkenne dich selbst in
xenophober ummantelung
archaischer ängste. das
nabelschnurerlebnis entfacht
die neue glut im spiegel unschuldiger augen.
richtungslos kreisen suchende gedanken um die
amorphe kristallisation

*******


Chimärengleich schaumgeboren
Ahnungsvoll herbeigesehnt
Runengeschwängert – im fluss
Mystisch versponnene
Elegie des augenblicks
Nirwana der verliebten

Contenance – nie gefordert aber
Antipodisch angedeutet
Rotierende gefühle getragen von verlockenden
Musengeküssten berührungen
Einsgeworden verfangen in
Nie geahntem schwindel

Charisma in untendierter
Artikulierter eigenständigkeit
Retardierend erlebt in
Mächtiger kraftvoller und
Erhabener zurückhaltender direktheit
Neu verbindend erfüllt

*******

die hexe

pandabärin im großen wagen
ebenholzgewachsene feingliedrigkeit
tentakelgleiche aura
runenbehangene rutengängerin
am scheideweg

*******

gletscherblaugrüne unergründliche
augen. warme manchmal verlangende
blicke. tiefgründige
ruhige pupillen über einem
in ruhe traurigen mund.
einfühlsame heilende zurückhaltende vie-
le geschichten erzählende hände.
eine leise defensive stimme

gebiert glückliche zeiten
aus liebe gewoben –
bestärkt – gewinnt
ist abgehoben.

antipoden gewinnen an boden
der vergiftet bald.
isolation ist geboten
eine liebe wird
unaufrichtig und kalt

********

inselgedanken werden umspült
sind gekräuselt & kontrolliert unterkühlt
ohne feedback & vogelfrei – ver-
lieren sich nie im einerlei.
du bist das zentrum: the
eye of the storm


Lyme Regis

sommergetragene zurückhaltende
winde
verfangen in offener zweifelhafter
brandung.
evening meal at the Mariner’s Hotel
loving eyes
never to stop caressing me? this would be
heaven.
jahre vernetzt in schicksalhafter zukunft
voller träume
allzeitige kraft geduldig getragen lässt dich
leben

*******

seraphische gedankengeborenen stimme
am anfang war das wort
belegt mit zwischentönen.
inselgespräche – sehnsuchtverloren?
niederungen des lebens – versöhnen.
erheben auch dich

sandverliebte wellenumwogte
affin in der brandung sich windende
bollwerke suchend –
im kriegspiel der geschlechter die
nischen kämpfend erforschend – mit
elegischem klang

*******

natur ohne schimären
am nabel der welt
milde versteckt
im immerwährenden
bimsstein deiner natur.

meilensteine im sand zerrieben …
am kinderlachen er-
neuern sich visionen

*******

scharfzüngige schneidende vielsilbigkeit
inszeniert eine wendige wirklichkeit
gepaart mit selbstbewusster verve im
reigen tanzender marionetten. das
ikebana der seelenpflanzen öffnet den zugang in
die andersartige ungeschminkte realität.

gezinkte sprache treibt die weltsicht ans
rettende ufer des selbstbetrugs
inthronisiert eine wirklichkeit
die in der realität versumpft

*******

Sonntag, Oktober 08, 2006


eure, eurer kinder zukunft?




Im Jahre 2020



Die letzten Schweizer !


Ich wurde wach vom Ruf des Muezzins, der über Lautsprecher von der
benachbarten Moschee in mein Ohr drang. Ich hatte mich längst daran
gewöhnt.
Früher war sie mal eine Kirche gewesen, aber sie war schon vor vielen
Jahren zur Moschee umfunktioniert worden, nachdem es der islamischen
Gemeinde in unserem Viertel, in ihrer alten Moschee zu eng wurde. Die
wenigen verbliebenen Christen hatten keinen Einspruch gewagt. Unser
türkischer Bürgermeister, Herr Mehmet Özal meinte, es sei längst an
der Zeit, der einzig wahren Religion mehr Platz zu schaffen. Die
wenigen Schweizer die noch in unserer Gegend wohnen, schicken ihre
Kinder alle in die Koranschule, damit sie es leichter haben sich zu
integrieren. In den Schulen wird in Türkisch unterrichtet, auch in
jugoslawisch oder arabisch, je nach der Mehrheit. Die wenigen Schweizer Kinder
müssen sich eben anpassen; Kinder haben ja wenig Mühe mit dem Erlernen von Fremdsprachen.
Alex, unser 10-jähriger, spricht zu Hause meist gebrochen Deutsch,
fällt aber immer wieder ins türkische; da wir das nicht können, schämen wir uns.
Alex ist das einzige Kind mit Schweizer Eltern in seiner Klasse, er
versucht sich so gut er kann anzupassen. Ich will die Nachrichten im
Radio einschalten, finde aber erst nach langem Suchen einen
deutschsprachigen Sender. Seit die Frequenzen nach dem
Bevölkerungsanteil vergeben werden, müssen wir uns eben umstellen. Der
Sprecher sagt, dass auf Druck der fundamentalistischen "Partei des
einzig richtigen Weges" im Bundeshaus ein Kopftuchzwang für alle Frauen eingeführt wird. Meine Frau trägt auch eins, um weniger aufzufallen; sie wird jetzt nicht mehr sofort als Schweizerin erkannt und freundlicher behandelt. Ausserdem soll auf
einstimmigen Beschluss ein "Tag der Schweizer Schande" eingeführt
werden, der an die Intoleranz der Schweizer erinnern soll,
insbesondere an die Ausländerfeindlichkeit. Ich sehe aus dem Fenster
auf die Strasse. Die Barrikaden sind noch nicht weggeräumt und rauchen
noch; aber die Kehrrichtabfuhr ist schon am Aufräumen. Gestern hatten
sich serbische und kroatische Jugendliche in unserer Strasse eine
Schlacht geliefert - oder waren es türkische und kurdische? Unsere
Scheiben sind diesmal heil geblieben. Meine Frau hat wieder Arbeit
gefunden, in einem türkischen Restaurant, als Aushilfe. Da Ausländer
bei der Arbeitsvergabe vorrangig behandelt werden, ist das ein grosses
Glück. Ich muss nicht mehr zum Arbeitsamt; mein Berater, Herr Hassan
Muftluft sagt, ich sei als Schweizer nicht mehr vermittelbar und hat mir einen Sprachkurs in Aussicht gestellt. Ich habe natürlich zugestimmt, so eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Mein Vermieter, Herr Ali Yüksel, erwähnte gestern beiläufig, dass er
die Wohnung einem seiner Brüder und dessen Familie versprochen habe
und wir sollten uns schon mal nach etwas anderem umsehen. Auf meinen
schüchternen Einspruch meinte er nur, er habe gute Beziehungen zu den
örtlichen Behörden.

Nun müssen wir also raus, aber besonders schwer fällt uns der Abschied aus
unserer Gemeinde nicht. Wahrscheinlich werden wir, wie viele unserer alten
Bekannten und Nachbarn, in die anatolische Steppe auswandern. Die
türkische Regierung hat dort allen deutschsprachigen Grosszügigerweise
ein Stück Land angeboten. Es ist eine Art Reservat für uns, wir wären
dort unter uns und könnten unsere Sprache und Kultur pflegen. Diese
Idee beschäftigt uns schon lange!

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im bodensatz der multikultiromantik habe ich schon vor vielen jahren gelesen
und verdichtet geschrieben:

landflucht

"Ein Fremdling ist nun ein jeder geworden." (Goethe)

ein fremder
sei ich nun
im eignen land?

gierige zungen
lecken multi-
kulturelles salz
unter redseligen sternen
denen eine spitze fehlt -
herausgewuchtet von
e n t r e c h t e t e n

messerscharfe augen
schlagen wunden -
narben brechen auf.

im zickzack des
alltagstrotts
wächst der wunsch
nach schildpatt
vor dem eintauchen
ins schützende fruchtwasser
im binnenmeer der
g e ä c h t e t e n.

noch ist mir
die gewohnte landschaft
bekannt

(aus meinem gedichtband: DEN HUREN DES WALDES)







mein adjektivloses segelabenteuererlebnis durchs zurückhaltende
tyrrhenische meer




para KATHARINA en Xalapa Enríquez / Veracruz / Mexico




O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!


[Das Tyrrhenische Meer ist ein Teil des Mittelmeeres und liegt westlich von Italien, zwischen dem Festland, Sardinien und Sizilien. Im Golf von Genua geht es ins Ligurische Meer über. Das Tyrrhenische Meer erreicht eine maximale Tiefe von 3.785 Metern und ist mit dem Ionischen Meer durch die Straße von Messina verbunden. Der Name entstand aus der griechischen Bezeichnung für die seefahrenden Etrusker: die Tyrrhenoi.]


beinahe wäre ich einen tag zu früh weggefahren morgens um viertel vor sechs, also mitten in der nacht. alles war ordentlich gepackt in der riesenrolltasche, die mir albert geliehen hatte. und sie war proppevoll. in diesem fall war mein prokrastinationssyndrom schicksalhaft überlistet worden. (ich hatte mir ja nie zuvor einen sogenannten segelurlaub erlaubt. und eine erfahrene segelfrau hatte mir geraten, alles mögliche und unmögliche einzupacken, obwohl sie noch nie auf den wassern des mittelmeeres eine nussschale belastet hatte.)
ich will es dir ersparen, alles aufzuzählen, was ich da mit meiner peniblen ader so sorgfältig verstaut hatte. auf jeden fall wollte es der mir zugefallene zufall (petra, die weise hexenfrau, sagt unmissverständlich, es gebe keine zufälle), dass mir am donnerstagabend auf all den sich in prospekthüllen befindlichen dokumenten, die schön säuberlich in einem hefter abgeheftet waren, so wie sie mir albert fürsorglich hatte zukommen lassen, auffiel, dass mir noch ein tag auf festem boden geschenkt wurde und danielle, die sich angeboten hatte, mich nach stuttgart zum hauptbahnhof zu fahren, nicht am freitagmorgen so früh aufstehen musste.





Von Branntwein voll und Finsternissen!
Von unerhörten Güssen naß!
Vom Frost eisweißer Nacht zerrissen!
Im Mastkorb von Gesichten blaß!
Von Sonne nackt gebrannt und krank!
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrigblieb:
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!


so stieg ich also kurz vor sechs in stuttgart in den ICE nach köln, nachdem ich kaum ein paar stunden geschlafen hatte in der kurzen stürmischen freiberger nacht, weil meine rastlosen gedanken nicht aufgehört hatten, mir wie ein unruhiger bienenschwarm im kopf herumzuschwirren, war ich doch vor etwa fünfzehn jahren das letzte mal in ein flugzeug gestiegen, um deutschland zu verlassen und mich in die luft heben zu lassen. und all die ungelösten probleme in meiner geburtsstadt und du in jalapa und ich noch nie auf einem segelschiff und und und – wie hätte ich da von jetzt auf nachher sanft in morpheus’ armen entschlummern können?


Kein Weizenfeld mit milden Winden
Selbst keine Schenke mit Musik
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen
Kein Kartenspiel hielt sie zurück!
Sie hatten vor dem Knall das Zanken
Vor Mitternacht die Weiber satt:
Sie lieben nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat!
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!


ich hatte meine müden glieder gerade so richtig im unbequemen zugsitz entspannt, als ein mann, der mit schräg gegenüber saß, sich auf seine etwa einmeterundfünfundsiebzig aus seinem sitz herausschraubte. er kam im wiegetakt des zuges schwankend auf mich zu mit einem offenen, freundlichen trollingergesicht, wie es eine bekannte nennen würde. seine augen waren offen und wach, ein schwarzer mit grauen haaren durchsetzter schnauzer zierte seine oberlippe und über seinem grübchen bildeten getrimmte baarthaare ein dreieck. seinen kopf zierte volles graumeliertes haar. das lächeln auf seinen lippen war genuin. seine augen, an deren farbe ich mich nicht erinnern kann, funkelten. er sagte mir, er sei der hans (Hans im Glück?), habe sich eine platzreservierung in meiner nähe besorgt und er fahre auch nach köln, um dort in den flieger nach bastia zu steigen, alldieweil auch er diesen segeltörn bei dieser firma gebucht und man ihn über meine sitzplatznummer informiert habe.



Mit seinen Ratten, seinen Löchern
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es, so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturm in seinem Mastwerk fest:
Sie würden nur zum Himmel fahren
Wenn man dort Schiffe fahren lässt.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



bis wir am flughafen in köln waren, hatte mir hans die wichtigen stationen seines lebens lebhaft geschildert. in stichworten: gelernter zimmermann, meisterbrief, zwei jahre in der schweiz, dann im ehemals elterlichen betrieb mit seinen brüdern, heirat, drei kinder, einen enkel, geschieden, haus gerettet, kinder zunächst bei ihm, nun nur noch ein sohn, da er den anderen rausgeworfen hat, weil er unter anderem zu unordentlich und zu unzuverlässig und dem alkohol nicht abgeneigt ist, seine freundin über vier jahre hatte er an pfingsten verlassen, weil sie sich ihm immer mehr entzogen hatte, er leidet noch darunter, dass er alleine ist, und will sich bei dem bootstörn ablenken, zeigt mir eine sms, die diese frau, deren name ich dann lese, ihm unachtsamerweise (?) zugesandt hatte, da sie für ihre mutter gedacht war, fragt mich nach meiner meinung dazu, erzählt, dass er nicht mehr in seinem beruf arbeite, da er einen arbeitsunfall gehabt habe (zum glück schildert er diesen nicht und spricht auch nicht über krankheiten, wie ich es schon oft erlebt habe, wenn fremde menschen bei zugfahrten oder bei anderen gelegenheiten über ihre leben, die nur aus krankheitsgeschichten zu bestehen scheinen, sprechen) und er seit jahren als vertreter einer firma unterwegs sei, die maschinen und werkzeuge für zimmereien herstelle oder vertreibe und er mindestens einen umsatz von einer halben million euro pro jahr zu erwirtscharften habe, er hatte ein segelboot auf dem bodensee, das just an diesem tag verkauft werde, da in seinem alter mit sechzig das boot nun zu klein sei und damit zu unbequem ist und er nennt das „binnenseeschifffahrtspatent“ sein eigen, was das auch immer bedeutet, und ob ich die firma kenne, bei der wir gebucht hatten, oder den skipper, ob ich schon mal auf einem boot gewesen sei, dass er noch nie in italien war und ich glaube erst viermal in seinem ganzen langen leben geflogen sei und noch viel viel mehr . . .




Sie häufen Seide, schöne Steine
Und Gold in ihr verfaultes Holz
Sie sind auf die geraubten Weine
In ihren wüsten Mägen stolz.
Um dürren Leib riecht toter Dschunken
Seide glühbunt nach Prozession
Doch sie zerstechen sich betrunken
Im Zank um einen Lampion.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



natürlich stand ich hans in nichts nach, da ich ja auch gerne geschichten und episoden zum besten gebe, die das leben so schreibt und das möglichst mit drei höhenpunkten. und so wie hans erzählen kann, ist es ihm ebenso gegeben, zuhören zu können. auf jeden fall tauschten wir bis zum flughafen in köln ein unmenge an ideen und erfahrungen, wünschen und lebenseinstellungen aus, so dass sich der sympathische eindruck, den wir schon in den fünf sekunden, als hans kurz nach abfahrt des zuges in stuttgart auf mich zugekommen war, voneinander hatten - wenn mich mein eindruck nicht trügte - sich bestätigte. (später auf dem segelschiff wurde dies auf die probe gestellt. – es stellte sich jedoch erwartungsgemäß heraus, dass hans nicht nachtragend ist.) wir begaben uns in diesem flughafengetümmel mit unserem gepäck zum check-in-schalter, harrten in der unvermeidlichen menschenschlange geduldig aus und setzten uns anschließend in ein geräuschvolles großraumcafé.



Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
O Himmel, stahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



wir wussten, dass noch ein weiterer sogenannter mitsegler aus düsseldorf sich im kölner flughafen zu uns gesellen sollte und man hatte uns die nummer seines mobiltelefons gegeben. als hans vergeblich versucht hatte, ihn anzurufen, bekam er stattdessen den anruf und so kam nach ein paar minuten andré, der dritte im flugbunde, auf uns zu. ein großer schlacksig wirkender mann so mitte dreißig (er sagte mir später, er sei schon vierzig), schlank, blond, bebrillt, in jeans und grünbräunlichem cordjacket mit ovalen lederbesätzen an den ellenbogen, einen rucksack auf dem rücken an unseren tisch. seine lebendigen augen scannten uns, wir taten das gleiche und schon waren wieder einmal in einigen hundert millisekunden die beurteilungs- und bewertungsparameter gesetzt.



Vor violetten Horizonten
Still unter bleichem Mond im Eis
Bei schwarzer Nacht in Frühjahrsmonden
Wo keiner von dem andern weiß
Sie lauern wolfgleich in den Sparren
Und treiben funkeläugig Mord
Und singen, um nicht zu erstarren
Wie Kinder, trommelnd im Abort:
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



in mir war das bezüglich andré so, dass er mir zunächst eher etwas arrogant erschien, was auch mit seiner intonation und diktion zu tun hatte. was seine körpersprache und aura anbetrifft, so hatten all ihre facetten eine abgerundete stimmigkeit. nach meiner heutigen sichtweise, ist diese scheinbare arroganz, also das sich etwas fremdes aneignen, seine sinnvolle art, sich distanz zu verschaffen, um diese dann, wenn er es wünscht und wenn das gegenüber dies ‚verdient’, auf eine zurückhaltende wärme zu reduzieren. im verlauf der schiffswoche stellte sich heraus, dass andré eine authentische und unprätentiöse persönlichkeit ist, die sich aus unaufdringlicher autorität und lebenserfahrener kompetenz speist, ein mensch, der eine bereicherung ist und dessen freund man gerne wäre.



Sie tragen ihren Bauch zum Fressen
Auf fremde Schiffe wie nach Haus
Und strecken selig im Vergessen
Ihn auf die fremden Frauen aus.
Sie leben schön wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau!
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!


also um zehnuhrfünfundvierzig sollte das flugzeug dieser billigfluglinie, wie sie wohl genannt wird, ‚deutsche flügel’ (natürlich klingt ‚germanwings’, slogan: „fly high, pay low“ weitaus besser) vom runway, der guten alten deutschen start- und landebahn, abheben. aber dem sollte nicht so sein! mehr oder weniger stündlich wurden die lieben fluggäste freundlich und geduldig darüber informiert, dass sich der start des fluges YD1KGB nach bastia auf korsika verschiebe. wenn ich mich richtig erinnere, hob der donnervogel schließlich gegen halb sieben am abend dröhnend ab. (zur verköstigung hatten wir großzügerweise einen gutschein über siebeneurofünfzig, der konsequenterweise ‚voucher’ heißt, um essen und trinken zu können, erhalten.) so hatten wir drei männer fast acht stunden zeit, um uns weiter abzutasten und uns voneinander zu erzählen, was dazu führte, dass wir bei der ankunft auf diesem schaukelboot schon einen teil der gruppendynamik hinter uns hatten und mit einem gewissen zusammengehörigkeitsgefühl, was außer durch den flug und noch eineinhalb stunden aufenthalt auf dem flughafen in bastia sowie einer längeren taxifahrt, während der andré mit einem sevicedienst von germanwings in irland telefonierte, zum hafen ‚port toga’, wo uns albert, der alte sybarit und hehre hedonist, mit seinem einnehmenden und charmantem lächeln und mit schinken belegten melonenstücken und rotwein begrüßte, geprägt worden war.



Wenn man viel Tanz in müden Beinen
Und Sprit in satten Bäuchen hat
Mag Mond und zugleich Sonne scheinen:
Man hat Gesang und Messer satt.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



(heute, einen tag nach meiner rückkunft, wartete ich geduldig, bis bei dem anhaltenden kühlen heftigen regenwetter im mit dunklen und schwarzen wolken verhangenen himmel sich ein sogenanntes zeitfenster öffnete [wie mir albert, der erfahrene flieger, erklärte, gibt es auf flughäfen beim startablauf auch zeitfenster (terminus technicus: „time slot“), die der betreffende flugkapitän einhalten muss. versäumt er es aus irgendwelchen gründen, sich während seines kurz bemessenen zeitfensters auf die rollbahn zum start, also auf den runway zu begeben, so muss er unter umständen eine stunde warten, bis ihm ein neues zeitfenster von der allmächtigen towerbesatzung zugeteilt wird. da kann es dann sogar vorkommen, dass ein wagen mit passagiergepäck zurückgelassen wird, um zu vermeiden, dass sich das zeitfenster unerbittlich schließt.], auf dass ich endlich mal wieder meinem bewgungsdrang frönen könnte, da ich ja eine woche lang stehend, sitzend oder liegend nur permanent herumlungerte. so öffnete sich also gegen vier ein derartiges zeitfenster und die sonne konnte ungehindert vom himmel lachen und ich konnte mich auf mein fahrrad setzen, um mir den lokalen landwind um die ohren wehen zu lassen. der lokale wind kam direkt aus west und hatte etwa vierundzwanzig knoten und ich musste ihn ganz schön niederringen auf der rückfahrt, bei der der westwind von vorne kommt. hatte ich ihn im rücken, war er fürsorglich schiebend. Im süden türmten sich gewaltige weiße kumuluswolken haufenweise und aus dem norden näherte sich ein massives band von schwarzen fetten wolken, woraus zu schließen war, dass auf etwa siebentausendneunhundertundachzig fuß ein titanischer nordwind tobte. ich fahre jetzt nicht mehr protzige zweiunddreißig kilometer auf meinem trip, sondern bescheidene zwanzig seemeilen bei einem stundenmittel von circa elf knoten. [seit august 2k4 habe ich nun fünfzehntausendvierhundert kilometer im sitzen und im wiegetritt in die pedale tretend zurückgelegt.])



Doch eines Abends im Aprile
Der keine Sterne für sie hat
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



bald acht stunden im aufenthaltsbereich der abfertigungshalle eines atmosphärelosen flughafengebäudes verbringen zu müssen, ist kein vergnügen. die zeit ist so aufdringlich, sie lässt sich nicht totschlagen; sie ist wie die lemäische hydra. die hinhaltetaktik einer fluggesellschaft wirkt zermürbend. müdigkeit und langeweile tun ihr übriges. der bodenständige hans aus blaustein bei blaubeuren (‚s leid a glötzle blei glei bei blaubeure, glei bei blaubeure leid a glötzle blei) hatte seine eigene art, mit der verspätung unseres fliegers, der in stanstead repariert werden musste, umzugehen. immer wieder wenn ich ihm begegnete, zitierte er in seinem wunderschönen älblerdialekt einen liedtext einer band aus schwäbisch gmünd, die wohl zur zeit einen hohen regionalen bekanntheitsgrad mit dialektliedern hat, wie weiland der wolle (kriwanek) oder die mannheimerin joy fleming. (das erinnert mich an die episode, die peter bertsch gerne über buddy erzählt, der bei der ersten yukonfahrt, bei der er mit von der partie war, mitten in der wildnis des yukon territory vorne im metallboot sitzend plötzlich zu singen anfing: „I muß die Stroßaboh no kriege, / denn bloß dr Fünfer bringt mi hoim. / I muß die Stroßaboh no kriege, / denn bloß dr Fünfer bringt mi hoim. / I muß die Stroßaboh no kriega, denn laufa will i net. // I kann kaum meh schnaufa / ond renn scho was i ko / ond ellas wega dera Stroßaboh.“ Peter verstand überhaupt nicht, worum es ging, bis buddy ihn dann aufklärte und später bei der hochzeit deiner eltern, bei der du auf deine art schon dabei warst, haben sich die beiden ja dann kennengelernt und zusammen musiziert.) hans rezitierte diese zeilen die ganze woche lang immer dann, wenn seiner meinung nach irgendetwas schief lief, so dass der humorlose sofort, wenn hans damit begann, sagte „bitte, nicht schon wieder“!
(Älles nex / Älles lombig älles liedrig älles luschig älles lau / Älles schlambig älles schludrig älles mäßig älles mau / Älles Glomb älles Gruschd älles Käs ond älles Dreck / Älles lombig älles liadrig älles labbrig älles nex! // Färsch en Urlaub noch Malorka oder au noch Ibiza / Dendse Dir glei da Kiddl ond da Koffer stibiza / Dei Hodell isch an dr Audoba onds Wädder wia verhext / Älles lombig älles liadrig älles gurgig älles nex! // Warsch auf Kuba warsch en Warschau / Warsch au em Zentralmassiv / Warsch auf Thailand bisch dr noch HIV positiv / Auf Hawai do gibt’s koi Bier ond en Alaska driffsch die Ex / Des kannsch älles grad vergessa des isch älles oifach nex! //( Fortsetzung siehe bei tag drei)



Der leichte Wind des Mittags fächelt
Sie anfangs spielend in die Nacht
Und der Azur des Abends lächelt
Noch einmal über schwarzem Schacht.
Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht
Dann nimmt der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
O Himmel, strahlende Azur!
Enormer Wind, die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!



ja und dann landeten wir drei männer auf dem flughafen von bastia auf dem stolzen korsika. das war so gegen halb acht, wenn ich mich richtig erinnere. man kennt das: plötzlich ist es spürbar warm und die hohe luftfeuchtigkeit ist wie eine wand aus durchsichtiger watte. und auch die schwere luft schmeckt nach nässe. man begibt sich erwartungsvoll nach dem ausstieg aus dem shuttlebus in die kofferempfangshalle und wartet gespannt darauf, dass sich die ersten gepäckstücke durch die gummistreifenlappen schieben. das dauert eine ganze weile, die man damit überbrückt, dass man die umstehenden mitwarter reihum mustert und nach draußen in die noch fremde welt blickt, sofern das möglich ist. man vertritt sich nach der langen sitzerei im engen flugzeugkörper ein wenig die beine. und siehe da: der erste koffer schiebt sich aus dem nirgendwo kommend die schwarzen gummistreifenlappen nach vorne und gleichzeitig nach oben drückend auf dem förderband in die halle, auf dass diese dann wieder in ihre ausgangsposition zurückpendeln. das wiederholt sich in unregelmäßigen abständen. die augen der wartenden die hälse renkenden urlauber leuchten und funkeln, wenn sie ihr gepäckstück entdecken. mein nachbar erklärte mir, als er eines der seinigen herunterwuchtete, dass es so schwer sei, weil er hochleistungsbatterien darin verstaut habe und die dazugehörige säure natürlich getrennt transportiere und dass die batterien dann nicht mehr mit nachhause genommen werden dürften. wie wenn mich das interessierte, der ich doch sehnsüchtig auf meine vollgepackte rollentasche wartete, um endlich zu diesem ominösen boot zu gelangen.
(bezüglich der sicherheitskontrollen an den flughäfen ist das ja auch so eine sache. als du nach new york city flogst, musstet ihr in frankfurt sogar die schuhe ausziehen. albert zeigte mir, nachdem wir die kontrolle in rom passiert hatten und uns im abflugbereich aufhielten, was er so alles im handgepäck hatte: seinen laptop, diverse große akkus für elektronische geräte auf dem boot, sowie eine menge kabel und was weiß ich noch alles. und weiterhin schaffen wir uns selbst zusätzliche sicherheit, wenn wir der aufforderung folgen und herrenloses gepäck bei mitarbeitern oder polizei melden. heißt das, dass nur herren ihr gepäck los lassen?)



Noch einmal schmeißt die letzte welle
Zum Himmel das verfluchte Schiff
Und da, in ihrer letzten Helle
Erkennen sie das große Riff.
Und ganz zuletzt in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:
O Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

(BALLADE VON DEN SEERÄUBERN von B.B.)



die beiden patentierten, hans und andré, standen geduldig vor mir entlang dieses halbovals, da ich mich ganz ans ende postiert hatte, um meine tasche nicht zu verpassen, alldieweil ich sie nicht so gut kannte, weil sie ja geliehen war. als erster griff hans zu und zog eine seiner beiden taschen vom band. bald darauf wurde andré fündig. (andré ist wie dein freund matthias in spe wirtschaftsingenieur. er erklärte mir auch geduldig, warum aluminium blüht und was es mit den armen opfermetallen (materialkunde?) so auf sich hat. er hat auch, wie albert, gewisse mir unbekannte akronyme internalisiert, was bei smss besonders hilfreich ist, weil kurz, klar & präzise, wie zum beispiel ETA, womit ich die erweiterte textaufgabe assoziierte; aber weit gefehlt (!), da im diesbezüglichen kontext unsinnig; es steht für estimated time of arrival). andré arbeitet in der geschäftsleitung eines familienunternehmens, das weiland sein vater gründete. ich glaube, sie stellen werkzeuge oder so etwas ähnliches für die autoindustrie her und haben niederlassungen in der ganzen welt, will sagen, in ländern, in denen autos gebaut werden. er hat eine verantwortlungsvolle aufgabe und entsprechend elaborierte manieren und muss viel reisen. und auch er wollte aufs wasser, um abstand zu gewinnen, da seine „familie“ verloren hatte, weil er sich von seiner französischen freundin mit ihrem kind getrennt hatte.)

das förderband drehte sich, nachdem die gepäckstücke in den händen ihrer besitzer waren, nun nackt und das wohl etwa fünfzehn minuten. ab und an schaute ich hinter die gummibänder in gähnende leere. keine gepäckwagen und kein mensch war zu sehen.

to make a long story short: es kam kein gepäck mehr! zwei gepäckwagen wurden in köln zurückgelassen (siehe zeitfenster!), wie der multilinguale andré herausgefunden hatte. so mussten mit der französichsprechenden bediensteten formulare ausgefüllt werden, wobei hans und mir andré assistierte und die information bekam, dass unser gepäck in drei tagen nachgeflogen werde.

so hatte ich also für eine woche segeltörn an bekleidung nur das, was ich am leib trug und meine megageilen matrosenhemden und mein ganzer schöner schnickschnack waren in köln. deshalb war ich auf leihgaben angewiesen: von claudia ein handtuch, von albert eine wind- und regenjacke, die zahnbürste und seine zahnpasta und duschgel, die ich mitbenutzen durfte sowie das spannbetttuch und einen seidenschlafsack, von andré ein v-neck und von dem lieben hermann eine unterhose, ein weißes t-shirt und ein weißes kurzarmhemd mit klettverschluss vorne. mit all diesen almosen kam ich ganz gut über die planken und spanten, also die bordage, und auch durch den kasko. und ab und zu wusch ich meine garderobe mit einem haarwaschmittel, das ich in der dusche in einem hafen gefunden hatte. da brauchst du dann keinen duftweichspüler. (wie danielle zu sagen pflegt, „es ist alles ganz leicht!“)


To an island race the lure of the sea is strong. It is friend and foe, giver and taker; yielding its fresh fruit to the fishermen harvesting its rich gardens, but taking as payment the lives of many unfortunate seamen. (Sea Shanties. The Twelve Buccaneers with Colin Wilkie & Shirley Hart. 1967)



nachdem uns unser kapitän, der ja skipper (the master of a ship, especially of a small one – The American Heritage Dictionary of the English Language) genannt wird und der immer einen deut schneller sein muss als alle anderen, albert, uns, vier männer und eine frau, am sonntagmorgen so ausgiebig eingewiesen hatte (muss im logbuch unter „creweinweisung und sicherheitsbekehrung“ vermerkt werden!), dass ich am ende völlig verwirrt war und dachte, ‚worauf hast du dich denn da eingelassen’, (die kojenzuweisung [kojenpreis pro person/woche euro 465,00] hatte natürlich schon am abend zuvor stattgefunden und es war ein luxus, dass wir einzelkabinen hatten (außer logischerweise dem pärchen, dirk & claudia)), als also die einweisung vorbei war, schipperten wir aus dem hafen in bastia los richtung elba (superficie kmq. 224; sviluppo costiero km. 147) in den hafen von Marciana Marina (42 seemeilen, abgekürzt „sm“). ich übernahm die „backschaftskasse“ (was für ein wort! es entstammt natürlich auch der esoterischen seemannssprache, die unter backschaft die „tischgemeinschaft“ versteht.), weil ich nicht nur als freiwilliger geschirrspüler fungieren wollte und von segeln, seglersprache und tauknoten rein gar nichts verstehe und mich dies auch nicht gerade brennend interessiert.
(was weiß ich, der ich ja kein poeta doctus bin, schon zum beispiel über den universal verwendbaren wichtigsten knoten, den „palstek“, der zum festmachen eines bootes an einem pfahl oder ring verwendet wird oder den „achterknoten“, der oft benutzt wird, um das ausscheren eines tampens aus dem laufenden geschirr zu verhindern, wobei der stek die form einer acht hat. oder der gemeine „webleinstek“, dem die zunft der weber seinen namen gab und der ein wichtiger universalknoten in der seemannschaft ist. unter belastung zieht sich der „webleinstek“ sehr fest. wird er danach wieder entlastet kann sich der schlingel mit der zeit losrütteln. nutzt man ihn zum sichern von beweglichem gut, sollte man ihn deshalb noch mit einem halben schlag abschließen. dann darf man aber den schlüssel nicht verlieren! von der gefährlichen „affenfaust“ wollen wir gar nicht reden. allerdings war ich der einzige auf dem schaukelboot, der in der lage war, einen gordischen knoten zu schlingen. das behielt ich natürlich für mich, denn dieser megaknoten, der sich bekanntlich am streitwagen des königs Gordios im antiken Gordion befand, wobei die herrschaft über asien dem verheißen war, der ihn lösen könnte, weshalb Alexander der Große ihn mit seinem schwert durchhieb, hätte den schiffsfrieden gestört.)
darauf, also auf das nicht-verstehen dieser nomenklatur, nimmt ein genuiner, patentierter segler in der regel keine rücksicht, so dass ich oft desorientiert war, wenn es klare anweisungen hagelte. albert, der empathische pädagoge, sagte wenigstens lechts und rinks (in anlehnung an den wiener Ernst Jandl: lechts und rinks kann man nicht velwechsern), statt steuerbord und backbord (spätestens hier würde herr Trippel wohl den enterhaken setzen!), als er mich mal für eine weile ans steuer stellte, während wir segelten, was nicht allzu oft der fall war, da wir von den 244 sm im gebiet K14 (so steht’s auf meinem „seemeilennachweis“, der versichert, das ich als Wachführer, Navigator, Crewmitglied - ja was jetzt? - an obigem Törn teilgenommen habe - betreffendes bitte unterstreichen – das hat albert vergessen), die wir in fünf tagen zurücklegten, circa 40 stunden das 13, 94 m lange und 4,85 m breite und im jahr 2001 gebaute boot mit seinem 100 PS Volvomotor bei 2000 umdrehungen und durchschnittlich 7 kn (knoten)/h mit einer verdrängung von 13,950 t und einem tiefgang von 2,00 m bei einer höhe über der wasserlinie von 20,00 m und mit einer segelfläche von 120 m² durchs 23 ° C warme mittelmeer quälten. das boot ist eine segelyacht des herstellers Jeanneau und heißt „Kreole Sun Odyssey 52.2 Delta November Foxtrott India“ (‚Sun Odyssey’ ist der Fahrzeugtyp) und hat auch einen heimathafen, nämlich hamburg. wie ich hörte, hat man damit auch schon mehrmals den atlantik überquert – ein gruppedynamisches fiasko.
als wir dann auf see waren, wurden uns die schwimmwesten erklärt und wo man ziehen muss, wenn man unfreiwillig über bord „geht“ („das wollen wir allerdings nicht hoffen!“) und wie man sich dann zu verhalten hat als derjenige, der im wasser schwimmt oder der eben diesen unsinn nicht mitmacht. der segelerfahrene albert erzählte uns auch, dass früher, also zu zeiten des portugiesen Vasco da Gama, die monarchen ihre kapitäne am liebsten unter denen suchten, die nicht schwimmen konnten, da der kapitän – noch nach den ratten - ja als letzter und in diesem fall gar nicht vom schiff „gehen“ soll. deshalb kann albert nicht schwimmen, wie er sagt.


Führ das Ruder

Und der Herbst hat sich erhoben,
und die wilden Gänse toben.
Führ das Ruder, lieber Bruder,
eh in Asche du zertoben.

Laß., oh laß die Chrysathemen,
laß, oh laß die blauen Schemen.
Führ das Ruder, lieber Bruder,
eh in Asche du zerstoben.

Nimm ein Weib nach deiner Weise
Auf die wilde Wogenreise.
Führ das Ruder, lieber Bruder,
eh in Asche du zerstoben.

(Worte nach Kaiser Wuti von Klabund – Chinesische Lyrik; Phaidon, 1931)



am nächsten tag, einem montag, war der törn (damit meine ich jetzt nicht die nicht beabsichtigte schlinge in einer leine) der kürzeste während unser gesamten fünf-tages-tour, nämlich schlappe 27 sm, und zwar nach Porto Azzurro / isola d’elba. unterwegs ankerte albert kurz im hafen Portoferraio, so dass ich mit dem eisenhans mit dem schlauchboot (beiboot „zodiac/plastino“) ans ufer rudern konnte unterhalb des ortes Bagnaia, um hermann zur durch sms angekündigten wäscheübergabe zu treffen. der erste hauptkommissar wollte das angebot, mit nach Porto Azzurro zu segeln nicht annehmen, weil er mit den busverbindungen auf der insel nicht vertraut war; so er fuhr mit seinem auto mit dem satten auspuffgeräusch am abend dann dorthin, wo wir zusammen speisten und uns gut unterhielten.

an den ersten beiden tagen war der himmel verhangen und es fielen auch ab und an tropfen vom himmel. so nach vier fünf stunden sammelten sich in meinem mund unmissverständliche mäandernde magensäfte, sodass ich die bittere kinetose, auch space motion sickness genannt, schmecken konnte. ich nahm gleich eine kautablette, die, wie mir die erfahrenen segler gesagt hatten, umgehend wirkt, weil sie die schleimhäute zu hilfe nehmend dir sofort die birne zudröhnt. albert hatte mir schon zuhause erklärt, dass seekrankheit nur etwas mit dem kopf zu tun habe und ich immer an den horizont blicken solle, auf dass mein hirn keine falschen signale an den magen sendet. aber das horizontfixieren half mir eben nur ein paar stunden. während der nächsten tage hatte sich mein metabolismus an die schaukelei gewöhnt. meine augen und mein gleichgewichtsorgan meldeten also keine unterschiedlichen zustände mehr, der „datenkonflikt“ war gelöst, der vestibularapparat funktionierte einwandfrei. so war ich froh, dass ich kein antiemetikum oder antiverdiginosum mehr brauchte. (wale, die ja säugetiere sind, werden nicht seekrank, weil die evolution ihre bogengänge verkürzt hat. aber die begeben sich ja auch nicht freiwillig auf ein segelboot.)



Zug der Schwäne

Über meiner Heimat Frühling
seh ich Schwäne nordwärts fliegen.
Ach, mein Herz möcht sich auf grauen
Eismeerwogen wiegen.

Schwan, im Singsang deiner Lieder
grüß die grünen Birkenhaine.
Alle Rosen gäb ich gerne
gegen Nordlands Steine.

Grüße Schweden, weißer Vogel!
Setz an meiner Statt die Füße
auf den kalten Fels der Ostsee;
sag ihr meine Grüße!

Grüß das Eismeer, grüß das Nordkap!
Sing den Schären zu, den Fjorden;
wie ein Schwan sei meine Seele
auf dem Weg nach Norden.

(Worte von tusk nach einem alten Kuban-Kosakenlied, 1934)


am nächsten tag war die kilo romeo echo oscar lima echo mit ihrer besatzung unterwegs in den golfo di campo und dortselbst in den hafen von marina di campo, noch immer vor der isola d’elba. die kreole zerschnitt dabei das blaue sonnenbeschienene wogende meer auf 37 seemeilen. die männer mit ihren binnenseeschifffahrtspatenten, sportküstenschifferscheinen – 12 sm-bereich plus mittelmeer - (SKSFB), sportseeschifferscheinen – 30 sm-bereich plus englischer kanal und irische see - (SSS) und sporthochseeschifferscheinen – erklärt sich selbst - (SHS) manövrierten die yacht gekonnt und wenn albert den motor drosselte, weil er den wind gerochen hatte, und seine anweisungen gab, also z. b. „genua“ [vorsegel, ca. 80 m²] (ich dachte am anfang „sind wir denn schon in genua?; ich wusste gar nicht, dass wir da hinsegeln; das hätte man mir auch sagen können!“), dann wusste jeder, was er zu tun hatte, um dieses große weiße segel auzurollen und um anschließend das kleinere “großsegel“ [ca. 40 m²] (man beachte die logik der seemannssprache!) herauszuziehen. ich schaute mir dieses spektakel immer gefasst und entspannt an. und wenn etwas nicht sofort klappte, so war ja unser skipper da, der korrigierend und ruhig eingriff. aber die akademischen hilfsmatrosen hatten es ja auch leicht. stell dir vor, sie wären auf der Santa Maria selig gewesen und hätten es mit dem sprietsegel am bugspriet, dem rahsegel am fockmast, den beiden rahsegeln am großmast und mit dem lateinersegel am besanmast zu tun gehabt. da hätten sie keine mechanischen oder elektrischen winschen vorgefunden, sondern wirklich muskeln zeigen müssen. hans hätte da vielleicht noch am ehesten mithalten können. (echte seemänner waren sie eh nicht, denn ein echter seemann hat mindestens ein tattoo; es muss ja nicht gleich eine knackige nackte seemannsbraut sein! der einzige auf dem ganzen schiff, der eine tätowierung sein eigen nannte war selbstredend ich.)
apropos hans. an dieser stelle möchte ich dir den zweiten teil seines immer wieder zitierten liedtextes einfügen, denn die stolzen und temperamentvollen mariachis in ihren charro-trachten und sombreros auf ihren machoköpfen erzählen dir ihre geschichten ja nicht auf schwäbisch und so bekommst du vielleicht keine entzugserscheinungen: Älles nex älles lombeg älles liadrig älles hee / Älles Bier älles Schnaps älles Rauschgift LSD / Älles Glomb älles Gruschd älles Käs älles Dreck / Älles lombig älles liadrig älles läbbrig älles nex! // Läsch de mof oberiera, weil da am Riasl Falda hosch / Willsch die Oahra korigiere korigierat se dr d Gosch/ Duasch de henderher beschwera / hoißt’s das sich des no verwächst / Älles lombig älles liadrig älles luschig älles nex. // Früher war älles besser, früher do war no älles guat / Heit des kasch grad vergessa / Weil heid nex meh stemma duat / Früher war im Fühjahr Frühjahr / Ond em Wender do hod’s gschneit / Ond im Herbschd send Blädder gfalla / So was gibt’s doch nemme heit. //


am tag darauf setzte albert unseren pott schon mogens um sechs (!) uhr in bewegung, wie meistens mittels des zuverlässigen motors. wir tuckerten elba verlassend aufs offene meer hinaus den sonnenaufgang (aurora musis amica!) auf der backbordseite erwartend. die sonne tauchte auf und die kameras klickten unermüdlich, wie wenn es der erste sonnenaufgang im leben wäre. an diesem tag, einem mittwoch, hatte unser master of the ship so einiges vor, nämlich vierundsechzig seemeilen zurückzulegen unter der brennenden sonne des südens bis nach Porto Ercole an der insel Giglio, mitten im kristallklaren smaragdfarbenen meer mit einer 21, 21 km² großen oberfläche und einer reichen mediterranen flora inmitten ihrer 28 km langen küste, also eher ein inselchen. seit römerzeiten war dies ein strategisch wichtiger und deshalb hart umkämpfter ort, wovon seine massiven festungsanlagen Filippo, Santa Caterina, Stella und La Rocca zeugen. wassergräben, zugbrücken, zitadellen, pulvermagazine und munitionsdepots konnten wir natürlich nicht besichtigen, weil wir ja auf einer segeltour und nicht auf einer studienfahrt waren. aber in der abendsonne, die ihren rotfilter über die festungsanlagen legte, war diese bastion auf dem monte argentario äußerst beeindruckend.

unser motorsegler brauchte bei durchschnittlich sieben seemeilen in der stunde für diese ehrgeizige strecke eine ganze weile. also viel zeit für mich, dir unser pärchen claudia und dirk vorzustellen. (was willst du sonst machen auf so einem schiff den ganzen lieben langen tag? du guckst an den himmel. der ist blau. du schaust aufs meer. das ist auch blau. möven gibt es keine. am bodensee gibt es mehr als im gesamten tyrrhenischen meer, sagt hans. und der weiß es. du hängst deinen gedanken nach, bis sie dich abhängen. du stehst, du schwankst, du gehst auf dem teakholz einige schritte. du erholst dich von der zivilisation deines normalen drögen alltags. du hörst dem wind zu, der dir unablässlich etwas ins ohr flüstert. nach tagen aufm boot leidest du schmerzlich an bewegungsmangel. du kannst lesen, kannst es aber auch lassen. jeder passt auf seine art auf, dass er keinen sonnenbrand bekommt. du trinkst viel oder auch nicht. manche rauchen, andere schlafen. also wie du siehst: ein buntes abwechslungsreiches gefährliches abenteuer.
der einzige, der dauernd beschäftigt ist, das ist dein skipper. der geht dauernd die treppen rauf und runter, bedient den autopiloten, macht seine einträge ins logbuch, kommt wieder nach oben kontrolliert zum x-ten male den kurs, trippelt wieder runter und beobachtet sein GPS, taucht wieder auf deck auf schaut auf den knotengeschwindigkeitsmesser und die windstärke, überlegt, ob er die segel setzen lässt, lässt sie setzen, ärgert sich, ohne es zu zeigen, weil der obersuperbootsmaat mit dem SHS im sitzen (!) steuert und immer wieder an geschwindigkeit verliert, erklärt ihm schließlich leicht genervt, wie’s geht, nämlich stehen, den wind spüren, die wellen beobachten und wasweißichnochalles, lässt die segel wieder einholen, startet den motor und vice versa, und das in beliebiger reihenfolge.

in seinem logbuch werden vielseitige eintragungen von dem skipper erwartet, die albert minutiös vornahm: seinen namen, tag, datum, start, ziel; dann alle zwei stunden unter dem begriff ‚wetter’: zeit, wind (richtung, stk), see, bewölkung und druck; unter der rubrik ‚navigation’: uhrzeit, kurs, position (breite, länge), log (kn, sm), segelführung, standort, wegpunkte, besondere ereignisse; checkliste (die bearbeitete albert morgens): wasser, diesel; tägliche kontrollen: motor-bilge, kielbilge, ölstand, lampen, service-batterie, motor-batterie, taschenlampen, rettungsblinkl., gasventile, seeventile, luken, blanko, tagesuntiuefe; wöchentlich: getriebeöl und gasflasche; und nun noch: motor gesamt h (vortag, tages h); logge gesamt (vortag, tagesweg) und zuguterletzt: unterschrift (albert schneller, ohne titel oder amtsbezeichnung).

da muss ich dir zwischendurch den rest von hans’ liedtext reindrücken: Früher do gab’s koi Umweld, früher gab’s no a Qualidäd / Früher do war älles früher, heidzudag isch älles z’schbäd / Früher do war älles luschdig, früher do war älles schee / Früher do hand’se über andre glachd, heid lached ma über mi. // Älles Gramba, älles, Driabl, älles wurmige Blitz / Älles Husel, älles Hommel, älles Daggl, älles Schbitz / Älles Schlamber, älles Schdrickschdomba, älles jonge Schbond / Älles Soicher, älles Drialer, älles selda gromme Hond / Älles Schnepfa, älles Schnalle, älles Schliggr, älles Gees / Älles Schella, älles Grodda, älles au nemme dees / Älles schludrig, älles schlabbrig, älles schlambig, älles schlecht / Älles lädrig, älles lombig ond au älles ungerecht / Älles lombig, älles liadrig, älles läbbrig, älles nex!


und abends sitzt man zusammen, meistens auf dem boot, wenn wir uns auch ab und an an land begaben, um einen platz zu suchen fürs abendessen, was nicht immer von erfolg gekrönt war. albert blieb immer auf dem boot, wenn wir vor anker lagen. diese abende waren oft lang so wie die redundanden gespräche, die sich meist in irgendeiner art und weise ums bootfahren und all den zu erzählenden erlebnissen und eindrücken, wie z. b. malerische häfen (in a way you could say, you have seen one and you have seen them all, you know), drehten oder um fachsimpeleien, deren inhalte mir relativ fremd waren. wie wenn die alten landser vom krieg redeten und vom besten kameraden, der als vorgeschobener beobachter hinter den feindlichen linien sein wervolles leben verlor, da er sich freiwillig als substitut gemeldet hatte, weil zum beispiel mein vater, der diese aufgabe hätte ausfüllen sollen, um das artilleriefeuer zu lenken, nicht nüchtern war. oder wenn ich von meiner bundeswehrzeit erzählen würde, als mir der MAD auf den fersen war.
natürlich gab es auch immer mal wieder kurze persönliche unterhaltungen.
also wenn nach diesem tag die seereise für mich zu ende gewesen wäre, wäre ich auch zufrieden gewesen. aber ein marathon stand mir ja noch bevor!)

ja, dirk & claudia; eigentlich sollte es heißen claudia & dirk. dirk war anders als die anderen und claudia selbstredend eine frau, die immer ganz vorsichtig lieb zu ihm war und ihn sogar fütterte, als er (SHS-qualifiziert und äußerst firm in den vielseitigen sportseeschifferscheinverordnungsparagraphen) im sitzen das segelnde schiff steuerte. vielleicht waren die beiden so mitte dreißig oder fünfundzwanzig oder fünfundvierzig. claudia (ladies first) ist promovierte chemikerin und hat auch physik studiert und unterrichtet folglich diese beiden schulfächer in einer beruflichen schule, die zum regierungspräsidium tübingen gehört, wenn ich mich recht daran erinnere, was sie über sich in einer der vom skipper initiierten vorstellungsruden sagte. mehr erfuhr ich nicht, außer dass sie schon mal auf einem segelboot war, weil ihr freund ja ein passionierter, wenn auch nicht immer fähiger segler ist. aber wichtig hat er sich genommen. als ihm hans mal eine segelfachliche frage stellte, gab er ihm zur antwort, „was, das weißt du nicht?!“. und als ich einmal nächtens unten im salon stand und alfred darum gebeten hatte, strom zu sparen, forderte mich dirk auf, das licht auszumachen. als ich ihn fragte, „wo schaltet man das licht aus, bitte?“, antwortete er mir erhellend, „am schalter!“. (albert ist da ganz anders, weil er die selten anzutreffende sokratische kunst der mäeutik beherrscht. und das ist gut so!) von dirk weiß ich nur aus seinen akustisch schwer verständlichen worten, weil er so leise spricht, dass selbst seine partnerin ihn oftmals nicht verstand, dass er wohl in ulm bei einer firma arbeitet, die zu diesem untertürkheimer konzern gehört, die radargeräte für militärische zwecke entwickelt. er ist studierter geophysiker, arbeitet jedoch nur mit ingenieuren zusammen. er steckt in kompakten geschätzten einhundertundachzig zentimetern, er hat volles dickes dunkelblondes haar mit einem leichten roststich. sein hellhäutiges großes gesicht bedeckt ein vielleicht zwei zentimeter langer leicht gekräuselter vollbart, dessen rotstich etwas kräftiger ist als der seiner haare, die weite teile seiner denkerstirn bedecken. zusammen mit der vor leeren augen sitzenden großen brille ist sein gesicht so fast völlig bedeckt – er war also gesichtslos, so dass wir im prinzip ein mann weniger waren. sein gehirn scheint zu wenig von dem hormon Orexin A zu produzieren! claudia ist etwas kleiner und plump und hat langes blondes volles rapunzelhaar, das der lyrikpapst karl krolow wohl ‚weidenhaar’ genannt hätte und weiter unten ken follett would have talked of a sagging bosom. mehr möchte ich über die beiden blassen mit“segler“ nicht sagen; denn wenn ich all meine vielseitigen beobachtungen ausführlich erzählen würde, bliebe die political correctness auf der strecke.


In der Heimat an der Waterkant,
Drei Meilen vor der See,
stand im weiten, grünen Binnenland
unser Haus an der Elbchaussee.
Fröhlich spielten wir Maat und Stueermann,
rochen nachts im Bett noch nach Teer.
Wir heuerten im Waschfaß an,
wollten hinaus aufs Meer,
wollten hinaus aufs Meer.
Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise!
Nimm uns mit in die weite, weite Welt!
Wohin geht, Kapitän, deine Reise?
Bis zum Südpol, da langt unser Geld!
Nimm uns mit, Kapitän, in die Ferne,
Nimm uns mit in die weite Welt hinaus.
Fährst du heim, Kapitän, kehrn'n wir gerne
in die Heimat zur Muttern nach Haus.
Fährst du heim, Kapitän, kehr'n wir gerne
in die Heimat zurück nach Haus.

2.
Heute sind wir Maat und Stueermann,
Kaptein und Admiral.
Doch ein jeder legt noch heimlich an
in dem Hafen »Es war einmal«,
Wirft die Anker aus dort im Kinderland,
Träumt wie damals sich wieder klein,
Gäb' gerne Heuer, Rang und Stand
Wieder ein Kind zu sein,
wieder ein Kind zu sein.


Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise!
Nimm uns mit in die weite, weite Welt!
Wohin geht, Kapitän, deine Reise?
Bis zum Südpol, da langt unser Geld!
Nimm uns mit, Kapitän, in die Ferne,
Nimm uns mit in die weite Welt hinaus.
Fährst du heim, Kapitän, kehrn'n wir gerne
in die Heimat zur Muttern nach Haus.
Fährst du heim, Kapitän, kehr'n wir gerne
in die Heimat zurück nach Haus.

3.
Mancher glaubt heut', fern vom Heimatland,
dort draußen blüht das Glück.
Hat voll Stolz sich in die Welt gewandt
und will nie mehr nach Hause zurück.
In der Fremde ward er ein reicher Mann,
Aber glücklich wurde er nicht.
Und legt ein Schiff aus Hamburg an,
steht er am Kai und spricht,
steht er am Kai und spricht:

Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise,
Nimm mich mit, denn ich kenne jetzt die Welt.
Wohin geht, Kapitän, Deine Reise?
Bis nach Hause, hier, nimm all mein Geld.
Nimm mich mit, Kapitän, aus der Ferne,
bis nach Hamburg, da steige ich aus.
In der Heimat, da glüh'n meine Sterne,
in der Heimat bei Muttern zu Haus,
in der Heimat, da glüh'n uns're Sterne,
nimm mich mit, Kapitän, nach Haus.
(NIMM MICH MIT; KAPITÄN AUF DIE REISE – diesen text hat fritz grasshoff für hans albers geschrieben. das war seine altersversicherung, weil er hauptsächlich von der gema für dieses lied und andere schlagertexte, die er geschrieben hatte, lebte. er sagte einmal: "Davon lebe ich, damit ich schreiben und malen kann, was mir Spass macht!"- "Wohlan, ich bin kein Zuckerbäcker, sondern ein Brotbäcker in Hemdsärmeln, der mit Humor, Satire und Gesellschaftskritik würzt." weißt du noch, dass du, ich glaube, als du in der vierten klasse warst (in deinem lesebuch war ein weihnachtsgedicht von ihm , das du auswendig hersagen konntest), an fritz grasshoff nach kanada schriebst (die adresse hatten wir von peter bertsch) und dir der alte halunke (eines seiner bekannten bücher heißt „halunkenpostille“ mit illustrationen von ihm selbst) liebevoll in seiner unvergleichlichen schönen handschrift zurückschrieb, dir ein handgeschriebenes gedicht schenkte mit einer seiner unverkennbaren zeichnungen? das ist ein wertvolles dokument!)



der rest unserer reise ist schnell erzählt. am 24. august 2k6 legten wir unseren marathontörn ins wasser: vierundsiebzig seemeilen von porto ercole in den porto di roma / ostia. albert hatte erfahren, dass am nächsten tag stürmische see angesagt sei und so wollte er zügig die ruhige sicherheit unseres zielhafens erreichen. wahrscheinlich brauchten wir dafür dreizehn zähe stunden. als die kreole mühevoll vertäut worden war (das wasser war sehr unruhig, weil diese relativ neue riesige hafenanlage nach alberts expertenhafter aussage eine fehlkonstruktion ist), ließ ich mich mitten in der nacht leider überreden, noch nach ostia zu spazieren. das war hin und zurück ein beschwerlicher fußmarsch von mindestens eineinhalb stunden entlang an unzähligen hässlichen neuen niederen restaurant- und cafégebäuden, die sich am strand entlangziehen. von dem publikum und all dem volk, das da herumlungerte oder flanierte, möchte ich gar nicht reden. wieder wegen der political correctness. in ostia nahmen wir dann in einer unwirtlichen gegend ein getränk zu uns. das war in der tat ein metzgersgang, wie man hier so schön sagt.



Schön war's im Hafen zu zwei'n
Wann wird es wieder so sein?
Küssen am Pier
Abschied von ihr,
Seitdem ist man allein.
Wohin das Schicksal uns treibt
Ob man sich je wieder schreibt?
Küsse am Pier,
Abschied von ihr
Nur die Erinnerung bleibt. Kleine weiße Möwe
Über Meer und Deck,
Kleine weiße Möwe
Flieg nicht wieder weg,
Bleibe und begleite
Unser Schiff zurück.
Denn die weiße Möwe bringt
Dem Seemann Glück.
Jaaaa,
Kleine weiße Möwe
Schütz uns vor Gefahr,
Fällt was auf die Planken
Wäscht die See es klar.
Fällt es auf die Mütze
Oder auf den Hut,
Eine kleine Brise macht
Es wieder gut.
Kleine weiße Möwe
Komme ganz nach Haus.
Laß fall'n nicht in den Schornstein,
Sonst ist alles aus.

(KLEINE WEISSE MÖWE von Fritz Grasshoff. hans wird sich darüber freuen!)
(wenn du lust hast, kannst du die beiden lieder ausgoogeln und mp3mäßig übern laptop von hans albers gesungen anhören.)
klick: http://www.musicline.de/de/product/Albers,Hans/Der+Blonde+Hans-Seine+20+Groes/CD///022924627125



der letzte volle tag inclusive nacht auf schwankendem boden war der freitag. nach einem ausgiebigen frühstück mit frischen brötchen (italo-style) und ciabatta (was hat dieses in olivenöl gebackene knusprige weißbrot eigentlich mit einem pantoffel zu tun?), die ich besorgt hatte ( ich war fast immer der erste, der wach war) in einem geschäft, welches ganz am ende der arkaden, die entlang des hafens eine u. a. unmenge von boutiquen mit edelklamotten beherbergten, und zu dem mindestens ein kilometer zurückgelegt werden musste, nach besagtem frühstück also, fuhren meine vier mitbucher in die ewige stadt zur besichtigung. albert wollte mich zwar wieder überreden, durch rom zu schlappen, aber nachdem ich ihm hoch & heilig versichert hatte (nach dem motto: if you can’t convince them, confuse them), dass ich in diesem pulsierenden geschichtsträchtigen flecken schon einmal acht tage verbracht hatte, ließ er mich in ruhe bei sich auf dem boot bleiben. ruhe hatte ich natürlich nicht, alldieweil auf see noch immer der sturm herumtollte und ich albert immer wieder zu diensten sein konnte bei der festeren und sichereren vertäuung der kreole. (ich hatte mir übrigens die ganze woche über den kopf zerbrochen, was sie weibliches an sich hatte. ohne ergebnis!) ich ging ihm den ganzen tag zur hand: nachspannen, nachspannen, eine weitere mooringleine herausfischen und festmachen und wieder nachspannen. (repetitio est mater studiorum!) wir hatten gute gespräche.
ich fragte albert u. a., warum er sich das immer wieder angetan habe, mit wildfremden menschen sozusagen für einen feuchten händedruck die meere zu durchpflügen. (von der firma, für die er skippert, bekommt er ja nur seinen flug ersetzt.) in diesem wunderlichen mann muss eine sich immer wieder selbst gebärende ideelle passion wurzeln. vielleicht war albert in einem seiner früheren leben cristoforo colombo. man müsste mal die seelengeister bei einer séance fragen. unter umständen wüsste das numinose eine antwort, so wie damals, als hier auf meinem massiven eichentisch (gut geeignet!) das glas wanderte und wolle immer streng darauf achtete, dass du in diesen vigilen nächten nicht im haus warst. wenn ich dabei nur an claire und ihren ominösen raben (oder war’s eine amsel?) denke, oder an wolles (er fungierte als unser medium, das kontakt aufnahm und kommunikator war) baku, der sich zunächst nicht zu erkennen gab und auf seine frage, wer er sei, anfangs immer nur sagte, er sei ein teil von ihm. (nein, er sagte nicht, „ich bin, der ich bin“. das war ein anderer.) als dein ehemaliger patenonkel dann nachforschte und seine erste frau (der hatte er eine seiner schönsten gänsehautballaden „komm vorbei“ gewidmet) fragte, ob sie eine erklärung zu dieser kryptischen aussage habe und sie ihm daraufhin sagte, wie habe ohne sein wissen ein kind von ihm abgetrieben, überfiel ihn der dermatospasmus und wolle konnte lange schlecht schlafen und war erst beruhigt, als baku bei weiteren mystischen treffen „frieden“ mit ihm geschlossen hatte. (eine traumdeuterhexe [mona] hatte wolle gesagt, dass derartige seelen sich einen körper suchten als parasiten, da sie sich nicht von der terra lösen könnten.) na ja, das war nur ein à part.
albert klärte mich dann auf, dass dies seine letzte segelbootfahrt in dieser form gewesen sei und nannte mir auch all seine guten gründe dafür. (vielleicht ist er auf dem weg zu senecas „vindica te tibi“.)


wehmut erfordert
den mut
sich seine oasen
mit wunderbaren erinnerungen
zu bepflanzen


bevor die crew am ende des törns ihr schiff dem nachfolgenden skipper mit seinen mitseglern übergibt, muss dies besenrein und noch reiner sein. du kannst dir also vorstellen, dass am samstagmorgen (bootsübergabe war am high noon) auf dieser nussschale rege geschäftigkeit herrschte. dirk herrschte mich an, ich solle entweder spritzen oder schrubben. nachdem ich mir den militärischen (ich war panzerschütze und später bei der ABC-abwehr bei der armee und nicht bei der marine!) ton verbeten hatte, nahm ich den schrubber zur hand.
die übergabe erfolgte pünktlich. der nachfolger hakte penibel seine liste ab, während albert ihm alles kompetent und geduldig erklärte. er ist frühpensionierter lehrer und sieht auch so aus. in der halben stunde, die sein aufenthalt auf dem boot dauerte, wurde ihm eine scheibe seines vw-busses eingeschlagen und seine GPS-anlage war in guten händen. als ich meine wuchernden vorurteile bestätigt sah, belehrte man mich, dass das auch in deutschland passiere, was mir nicht neu war; denn was passiert in deutschland nicht? wo käme ich denn hin, wenn ich meine vorurteile nicht hegen und pflegen könnte? politische korrektheit ist ein machtinstrument, welches das, was du sagen möchtest einschränkt und erfolgreich eliminiert und sie zensiert ja auch die vorurteile. „Man muss die Zwangsjacke der politischen Korrektheit abstreifen, denn sonst kann man niemanden, auch nicht die Minderheiten, für irgendetwas kritisieren – nicht einmal für Verstöße gegen die Gesetze, den traditionellen Sittenkodex und unsere eigenen Werte.“ das muss ja auch mal gesagt werden dürfen, ohne der graphomanie bezichtigt zu werden, denn die licentia poetica kennt keine grenzen! – Hay que sobrevivir!

ich beobachtete, wie mein freund albert die kaimauer entlangkommend den hafenbereich verlässt, in einer hand seine schiffsschuhe schlenkernd. beim verlassen der hafenanlage ‚hängt’ er seine seglerschuhe demonstrativ ‚an den nagel’, indem er sie genüsslich in den dort hängenden müllbehälter wirft. ça y est!

unser abflug am nachmittag war relativ pünktlich und kurz vor acht war ich wieder zu hause in der charlottenstraße. meine rolltasche stand auch schon im treppenhaus.