Sonntag, Oktober 08, 2006


eure, eurer kinder zukunft?




Im Jahre 2020



Die letzten Schweizer !


Ich wurde wach vom Ruf des Muezzins, der über Lautsprecher von der
benachbarten Moschee in mein Ohr drang. Ich hatte mich längst daran
gewöhnt.
Früher war sie mal eine Kirche gewesen, aber sie war schon vor vielen
Jahren zur Moschee umfunktioniert worden, nachdem es der islamischen
Gemeinde in unserem Viertel, in ihrer alten Moschee zu eng wurde. Die
wenigen verbliebenen Christen hatten keinen Einspruch gewagt. Unser
türkischer Bürgermeister, Herr Mehmet Özal meinte, es sei längst an
der Zeit, der einzig wahren Religion mehr Platz zu schaffen. Die
wenigen Schweizer die noch in unserer Gegend wohnen, schicken ihre
Kinder alle in die Koranschule, damit sie es leichter haben sich zu
integrieren. In den Schulen wird in Türkisch unterrichtet, auch in
jugoslawisch oder arabisch, je nach der Mehrheit. Die wenigen Schweizer Kinder
müssen sich eben anpassen; Kinder haben ja wenig Mühe mit dem Erlernen von Fremdsprachen.
Alex, unser 10-jähriger, spricht zu Hause meist gebrochen Deutsch,
fällt aber immer wieder ins türkische; da wir das nicht können, schämen wir uns.
Alex ist das einzige Kind mit Schweizer Eltern in seiner Klasse, er
versucht sich so gut er kann anzupassen. Ich will die Nachrichten im
Radio einschalten, finde aber erst nach langem Suchen einen
deutschsprachigen Sender. Seit die Frequenzen nach dem
Bevölkerungsanteil vergeben werden, müssen wir uns eben umstellen. Der
Sprecher sagt, dass auf Druck der fundamentalistischen "Partei des
einzig richtigen Weges" im Bundeshaus ein Kopftuchzwang für alle Frauen eingeführt wird. Meine Frau trägt auch eins, um weniger aufzufallen; sie wird jetzt nicht mehr sofort als Schweizerin erkannt und freundlicher behandelt. Ausserdem soll auf
einstimmigen Beschluss ein "Tag der Schweizer Schande" eingeführt
werden, der an die Intoleranz der Schweizer erinnern soll,
insbesondere an die Ausländerfeindlichkeit. Ich sehe aus dem Fenster
auf die Strasse. Die Barrikaden sind noch nicht weggeräumt und rauchen
noch; aber die Kehrrichtabfuhr ist schon am Aufräumen. Gestern hatten
sich serbische und kroatische Jugendliche in unserer Strasse eine
Schlacht geliefert - oder waren es türkische und kurdische? Unsere
Scheiben sind diesmal heil geblieben. Meine Frau hat wieder Arbeit
gefunden, in einem türkischen Restaurant, als Aushilfe. Da Ausländer
bei der Arbeitsvergabe vorrangig behandelt werden, ist das ein grosses
Glück. Ich muss nicht mehr zum Arbeitsamt; mein Berater, Herr Hassan
Muftluft sagt, ich sei als Schweizer nicht mehr vermittelbar und hat mir einen Sprachkurs in Aussicht gestellt. Ich habe natürlich zugestimmt, so eine Chance bekommt man nicht alle Tage. Mein Vermieter, Herr Ali Yüksel, erwähnte gestern beiläufig, dass er
die Wohnung einem seiner Brüder und dessen Familie versprochen habe
und wir sollten uns schon mal nach etwas anderem umsehen. Auf meinen
schüchternen Einspruch meinte er nur, er habe gute Beziehungen zu den
örtlichen Behörden.

Nun müssen wir also raus, aber besonders schwer fällt uns der Abschied aus
unserer Gemeinde nicht. Wahrscheinlich werden wir, wie viele unserer alten
Bekannten und Nachbarn, in die anatolische Steppe auswandern. Die
türkische Regierung hat dort allen deutschsprachigen Grosszügigerweise
ein Stück Land angeboten. Es ist eine Art Reservat für uns, wir wären
dort unter uns und könnten unsere Sprache und Kultur pflegen. Diese
Idee beschäftigt uns schon lange!

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im bodensatz der multikultiromantik habe ich schon vor vielen jahren gelesen
und verdichtet geschrieben:

landflucht

"Ein Fremdling ist nun ein jeder geworden." (Goethe)

ein fremder
sei ich nun
im eignen land?

gierige zungen
lecken multi-
kulturelles salz
unter redseligen sternen
denen eine spitze fehlt -
herausgewuchtet von
e n t r e c h t e t e n

messerscharfe augen
schlagen wunden -
narben brechen auf.

im zickzack des
alltagstrotts
wächst der wunsch
nach schildpatt
vor dem eintauchen
ins schützende fruchtwasser
im binnenmeer der
g e ä c h t e t e n.

noch ist mir
die gewohnte landschaft
bekannt

(aus meinem gedichtband: DEN HUREN DES WALDES)




1 Comments:

At 12:28 AM, Blogger °dieKaddi° said...

lieber papa!

bis auf das, dass du mir einfach "mein" design geklaut hast, find ich es ja wirklich toll, dass du auch nen blog hast! (auch wenn du dazu gekommen bist, wie die jungfrau zum kind ;))
und damit den nun mehr leute kennenlernen und du dann auch mehr anreiz hast, was zu schreiben, hab ich dich nun auf meinem blog verlinkt.

über das design können wir dann ja nochmal sprechen ;)

ganz liebe grüße aus der ferne

 

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